Krakau in der Okkupationszeit 1939-1945

Veranstalter
Muzeum Historyczne Miasta Krakowa - Deutsche Emailfwarenfabrik Oskar Schindler
Ort
Krakow Podgorze
Land
Poland
Vom - Bis
11.06.2010 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Vogel, Berlin

Seit dem 11. Juni 2010 ist die Ausstellung „Krakau in der Okkupationszeit“ für das Publikum geöffnet. Über 100.000 Besucher haben sie seither gesehen, davon gut die Hälfte aus dem Ausland. Die Dauerausstellung befindet sich im Verwaltungsgebäude der ehemaligen Deutschen Emailwaren D.E.F. von Oskar Schindler, bekannt aus dem Film „Schindlers Liste“ von Stephen Spielberg. Thema der Ausstellung ist das Leben der jüdischen ebenso wie der nicht-jüdischen Bewohner Krakaus während der Besatzung durch die Nationalsozialisten von 1939 bis 1945. Die Geschichte des Ausstellungsortes selbst und ihres Besitzers Oskar Schindler ist in den Rundgang integriert. In Polen erfährt Oskar Schindler mit der Einrichtung der Ausstellung in der D.E.F. zum ersten Mal eine hohe Würdigung.

Die Ausstellung ist chronologisch in elf Kapitel gegliedert, bei denen jeweils ein thematischer Aspekt im Vordergrund steht. So wird etwa im zweiten Kapitel der Nazi-Terror gegen die Zivilbevölkerung anhand der „Sonderaktion“, der Verhaftung der Professoren der Jagiellonen-Universität am 6. November 1939 verdeutlicht. Die Beschlagnahme von Wohnhäusern für die Besatzungsmacht und die Baumaßnahmen für die Einrichtung der deutschen Hauptstadt im Generalgouvernement stehen im dritten Kapitel im Vordergrund. Das alltägliche Leben im Schatten des allgegenwärtigen Terrors, die Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben, die Einrichtung des Krakauer Ghettos und die Ermordung von 60.000 Krakauer Juden, das Konzentrationslager Płaszòw und schließlich das Ende der Besatzungszeit sind weitere Themen.

Die präsentierten Inhalte sind nicht grundsätzlich neu, doch eröffnet die Art der Inszenierung von Originalobjekten, historischen Fotos, interaktiven Elementen und Zeitzeugeninterviews einen neuen Blick auf das Thema. In Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Michał Urban und dem Regisseur Łukasz Czuj entwickelte Projektleiterin Monika Bednarek mit ihrem Team in dreijähriger Vorbereitungszeit eine theatrale Erzählweise. Sie bauten ein begehbares Bühnenbild für Ausstellungsstücke und Besucher, dessen Künstlichkeit deutlich erkennbar ist und das der Ausstellung eine überzeugende Dramaturgie gibt. Eng verbunden mit der Dramaturgie ist die gewählte Erzählperspektive. Konsequent aus Sicht der Krakauer Bürger, jüdischer wie nicht-jüdischer, wird dargestellt, was das Leben und Überleben in Krakau während der Besatzungszeit ausmachte. Die Strategien und Ziele der Besatzungsmacht werden vornehmlich in ihren Auswirkungen auf die polnische Bevölkerung dargestellt.

Prägendes Element der Ausstellungsgestaltung sind historische Fotografien nicht nur von Orten, sondern vor allem von Menschen. Auf Lebensgröße vergrößert und angebracht auf semitransparente Glasstelen stehen dem Besucher die historischen Bewohner Krakaus auf Augenhöhe gegenüber. Eine durchlaufende „Tonspur“ mit eingesprochenen Texten, Geräuschen und Musik ist ein weiteres Gestaltungsmittel, mit denen das Ausstellungsteam das Publikum durch die sechsjährige Besatzungszeit führt. Historisches Filmmaterial, das im Zuge der Ausstellungsrecherchen in Polen und Deutschland neu entdeckt wurde, wird stets in einen Deutungszusammenhang eingebunden. So sind die Fenster eines nachgebauten Straßenbahnwagens als Monitore gestaltet, auf denen Filme mit Stadtansichten und flanierenden Menschen sich abwechseln mit Filmaufnahmen von Plünderungen und Misshandlungen jüdischer Krakauer durch die Besatzungsmacht. Die Gestaltung wirkt nicht plump oder effektheischend. Es gelingt dem Ausstellungsteam deutlich zu machen, dass die gesamte Ausstellungssituation eine inszenierte ist.

Auch wenn der Raumeindruck durch die bühnenbildnerischen Elemente stark geprägt wird, gehen doch die Originalobjekte nicht unter. Sie werden in den Erzählduktus einbezogen. Beschlagnahmtes jüdisches Eigentum steht aufgetürmt in einer Art Rumpelkammer. Elegante Damen- und Herrenmode wird in einem Schaufenster präsentiert. Auch ein Blick in einen Spielwarenladen wird gezeigt. Einer Kasperpuppe in Gestapouniform steht eine jüdische Puppenfamilie gegenüber, die die Arme über den Kopf hebt.

Die Ausstellung ist sparsam in polnischer und englischer Sprache beschriftet. Doch deutschsprachige Besucher brauchen über weite Strecken keine erklärenden Texte. Reproduktionen von Bekanntmachungen des Stadtkommissars Zörner auf Deutsch und Polnisch, plakatiert auf angedeutete Hauswände, machen im O-Ton deutlich, wie die Besatzungsmacht das Leben der nicht-jüdischen und der jüdischen Bevölkerung in immer engere Handlungsräume zwang. An insgesamt 30 Medienstationen sind Daten, Fakten und Hintergründe in englischer und polnischer Sprache verfügbar. Zum Teil finden sich hier die Großfotos aus der Ausstellung noch einmal mit längeren Texten und ergänzenden Karten. Die Benutzerführung der Stationen ist leicht verständlich und einfach zu bedienen. Gestalterisch ordnen sie sich unter. Oft sind sie in Nischen untergebracht, so dass sie den Raumeindruck nicht dominieren.

Ergänzt wird die Ausstellung durch Zeitzeugen-Interviews, die im Rahmen der Recherchen aufgenommen worden sind. Sie sind an Monitoren in polnischer Sprache, wahlweise mit englischen Untertiteln abrufbar. Diese Bildschirme sind im Gegensatz zu den oben genannten Medienstationen sichtbar in die Ausstellungsgestaltung integriert. Umgeben von dem dargestellten Morden wirken die Zeitzeugen als Beleg für den Lebenswillen der polnischen Bevölkerung.

Sehr gut durchdacht sind die fünf interaktiven mechanischen Stationen der Ausstellung. Mit jeweils einem „Zeitstempel“ können die Besucher auf einer Art Schreibtisch mit einem Behördenstempel eine Pappkarte bedrucken, die mit kurzen Informationen über entscheidende Daten der Krakauer Geschichte aus der Besatzungszeit versehen sind. So kann man sich am 1. September 1940 zur Feier des einjährigen Kriegsbeginns ein Kärtchen mit einem runden Siegel des Generalgouvernements, original mit Reichsadler und Hakenkreuz bestempeln. Oder am 20. März 1940 eines mit dem Stempel des Judenrates anlässlich der Einrichtung des Ghettos in Podgòrze. Und schließlich am 18. Januar 1945 eines mit rotem Stern, Hammer und Sichel, das den Einmarsch der Roten Armee in Krakau kennzeichnet.

Das Wirken Oskar Schindlers wird in dessen originalen Büroräumen gewürdigt, die die Jahrzehnte intakt überdauert haben. In seinem Büroraum ist ein symbolischer „Bogen der Überlebenden“ aufgerichtet, hergestellt aus Tausenden von silbern glänzenden Topf-Rohlingen, ähnlich denen, die in der Fabrik hergestellt wurden. Diese beiden Räume unterscheiden sich in ihrer gestalterischen Handschrift vom Rest der Ausstellung. Sie sind offenbar Relikte der dokumentarischen Fotoausstellung über den Zustand der Fabrik zu Schindlers Lebzeiten, die zuvor in den Räumen der D.E.F. gezeigt wurde.

An einigen Stellen wurde stark in die Requisitenkiste gegriffen. Einmachgläser mit Gurken und Pflaumen im nachgestellten Versteck des polnischen Untergrunds scheinen für den Gesamtzusammenhang doch entbehrlich. Auch das Finale der Ausstellung macht starke Anleihen beim Theater: Durch einen dunklen, mit Gummimatten belegten und verhängten Gang gelangt man in einen hellen runden Raum, den „Saal der Wahl“, der symbolisch das Fazit der Ausstellung ausdeutet. Ob man diese Inszenierung als besonders gelungen bezeichnen kann, mag offen bleiben. Dass es jedoch einen „Abspann“ gibt, hilft den Besuchern – wie am Ende eines Films – wieder in der Gegenwart anzukommen.

Die Ausstellung „Krakau in der Okkupationszeit 1939 – 1945“ reiht sich mit ihrer inszenierten Darstellungsweise und dem erzählerischen Duktus ein in eine neue Art des Umgangs mit der jüngeren polnischen Geschichte. Auf ganz ähnliche Weise wird in Warschau im 2004 eröffneten Muzeum Powstania Warszawskiego der Warschauer Aufstand von 1944 thematisiert.1 Auch hier ist der Raum durchgehend in eine begehbare Kulisse verwandelt, Fotos, Film- und Tondokumente verbinden sich zu einem eindrucksvollen Bild. Selbst das Regionalmuseum Stalowa Wola, 200 km östlich von Krakau sicher nicht in einer kulturellen Hochburg gelegen, erinnert seit 2007 mit einer sorgfältig vorbereiteten, inszenierten Ausstellung an das 70. Jubiläum der Gründung des zentralen Industriedistrikts und den Aufbau einer Stahlarbeiterstadt als wirtschaftspolitische Maßnahme der Zweite Polnische Republik.2

Im Vergleich zu vielen Ausstellungen, die in Deutschland die Zeit des Nationalsozialismus behandeln, setzt die Krakauer Ausstellung weniger auf die nüchterne Vermittlung von Daten und Fakten. Mit Raumeindrücken und Bühnenbildern berichtet sie in der Art eines Dokumentarfilms von einem historischen Ereignis, das für die Zeitgenossen Realität war. In der Künstlichkeit der Umgebung stellt sich eine Art Komplizenschaft ein zwischen den Touristen und den heutigen Krakauern, die die Ausstellung besuchen und denen, die damals in der Stadt lebten. Gleichzeitig gelingt es dem Ausstellungsteam, die Besucher auf Distanz zum Erzählten zu halten, sie nicht zu überwältigen. Die Ausstellung „Krakau in der Okkupationszeit“ ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie es einem Museum gelingen kann, Verstand und Emotion gleichermaßen anzusprechen und die Besucher zum Nachdenken über ein komplexes Thema anzuregen.

Anmerkungen:
1 <http://www.1944.pl/about_museum/exhibition/?lang=en> (16.03.2011).
2 <http://www.muzeum.stalowawola.pl/engl/cop.htm> (16.03.2011).

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